Bei der Überwachung von Prozesses mittels statistischer Prozesskontrolle (SPC = Statistical Process Control) gerät man immer wieder in die Situation, dass Parameter, die mit SPC überwacht werden, ausserhalb der vorgegebenen Toleranz liegen. Ein solches Ereignis ist solange nicht störend, als man mit dem erreichten Qualitätsniveau zufrieden ist. Geht man jedoch dazu über, den Prozess zu verbessern (oder eben einen neuen Prozess zu entwerfen), so stellt man sehr schnell fest, dass statistische Prozesskontrolle dann ihre Grenzen erreicht, wenn es darum geht, Ursachen für ein Überschreiten vorgegebener Grenzwerte zu ermitteln.
In manchen Fällen erreicht man auch in solchen Situationen mit statistischen Methoden sein Ziel, nämlich dann, wenn mehrere, nicht nur der mit SPC überwachte Parameter zeitgleich gemessen werden. Ist dies der Fall, kann man versuchen, mit Methoden der explorativen Statistik Einflüsse der Parameter untereinander aufzudecken, um auf diese Weise Ursachen für Grenzüberschreitungen ermitteln zu können. Hat man jedoch keine weiteren Daten (oder nicht die richtigen), stellt sich die in vielen Fällen schwierige Frage: welche Parameter müssen eigentlich gemessen zu werden, um einen beherrschbaren Prozess zu haben?
Im ersten Moment könnte man auf den Gedanken kommen, dass sich eine solche Situation ganz einfach dadurch vermeiden ließe, dass man permanent alle für die Prozessüberwachung erforderlichen Parameter aufzeichnet, und sei es auch nur für eine begrenzte Zeit. Ein solcher Gedanke ist aber schon aus rein finanziellen Überlegungen völlig illusorisch, weil niemand die damit verbundenen Kosten aufzubringen bereit wäre (stellen Sie sich vor, wie viele Parameter zu überwachen wären, um auch nur ganz einfache Bauteile ganz "im Griff" zu haben).
In diesem Moment hat die Physik ihren großen Auftritt.
Viele glauben, dass die Physik eine "exakte" Wissenschaft ist; selbst Physiker waren bis vor einigen Jahrzehnten der Auffasung, dass man - könnte man nur genau genug messen - alle erdenklichen Einflüsse in den Griff bekommen könnte. Jeder, der sich - mehr oder weniger gerne - an seine Schulzeit erinnert, wird noch wissen, dass die Mechanik von den drei Newton´schen Gesetzen bestimmt wird, nach denen sich die Kraft durch die Beziehung F = m*a berechnen läßt, wobei F die Kraft, m die Masse und a die Beschleunigung eines Körpers bedeutet, die er unter der Einwirkung der Kraft F erfährt. Obwohl man wahrscheinlich während der gesamten Schulzeit mit dieser Formel gerechnet hat, ist sie - genau genommen - falsch (wenn Sie die Begründung dafür verstehen möchten, warum die Aussage falsch ist, lesen Sie bitte die Erklärung am Ende des Artikels).
Unter Physikern ist nämlich die Denkweise sehr verbreitet, dass man - bevor man ein Ergebnis berechnet - sich zuerst Gedanken darüber macht, welche Genauigkeit ein Resultat denn haben soll (wenn Sie aus dem Haus gehen, genügt es Ihnen auch, wenn Sie wissen, dass die Aussentemperatur unter 10 Grad, zwischen 10 und 20 Grad, oder über 20 Grad liegt, um zu entscheiden, was Sie anziehen sollen; es ist unnötig, die Temperatur auf zwei Stellen nach dem Komma zu messen).
Genau solche Verhältnisse liegen oft in der Physik vor: es geht zuerst darum, zu entscheiden welche Größen mit welcher Genauigkeit zu messen sind, bevor man mit einer Messung beginnt. Vergleichbar dazu ist die eingangs geschilderte Situation aus der Qualitätskontrolle: wenn Sie feststellen, dass Prozessgrenzwerte über- oder unterschritten werden, besteht ihre erste Aufgabe darin, zu verstehen, wie der Prozeß überhaupt abläuft. Nur dann wird es Ihnen gelingen, aus den möglichen Einflussgrößen die herauszufinden, die zur Klärung der Ursachen näher untersucht werden müssen. Der "Prozessdokumentationsprozess" (vgl. Prozesse) erhält unter diesen Rahmenbedingungen eine ganz andere Bedeutung, als dies im ersten Moment vielleicht den Anschein hat.
Erklärung:
Um zu verstehen warum die Formel F = m*a verkehrt ist, muss man sich ins Gedächtnis zurückrufen, dass das zweite Newton´sche Axiom wie folgt lautet: die Änderung der Bewegung einer Masse ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt (oder, mit einer Formel ausgedrückt: F = dP/dt = d/dt (m*v)).
Wer sich nun ausserdem noch an seinen Mathematikunterricht erinnert, wird wissen, dass zur Ableitung von Produkten die "Produktregel" benutzt werden kann, die - auf das Beispiel übertragen - wie folgt lautet: d/dt (m*v) = m*dv/dt+ v*dm/dt.
Unter "normalen" Umgebungsbedingungen ist es nun so, dass sich die Masse eines Körpers nicht ändert, wenn er beschleunigt oder abgebremst wird. Man kann zeigen (das sagen Physiker immer dann, wenn die Rechnung so komplex ist, dass sie selbst nicht sicher sind, ob sie sie hinbekommen), dass eine Massenänderung unter der Einwirkung einer äußeren Kraft nur dann auftritt, wenn die Geschwindigkeit des Körpers mit der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum vergleichbar ist.
Alle Geschwindigkeiten makroskopischer Körper, die unter Alltagsbedingungen auftreten, sind langsam im Vergleich zur Vakuum-Lichtgeschwindigkeit. Weil das so ist, kann man die Formel also auf die Form d/dt (m*v) = m*dv/dt = m*a verkürzen, und erhält trotzdem korrekte Resultate wenn es darum geht, zu berechnen, welche Beschleunigung ein PKW der Masse m erreicht, dessen Motor die Kraft F übertragen kann.